Von Gabi Peters, Rheinische Post
Mönchengladbach · Die zuckerkranke Emily (13) starb 2019 bei einer Klassenfahrt nach London. Zwei Lehrerinnen wurden vor Gericht für ihren Tod mitverantwortlich gemacht und verurteilt. Doch sie legten Revision ein. Wie der Stand ist und was Emilys Vater jetzt noch plant.
Kay Schierwagen fährt, wie er sagt, immer noch täglich von Duisburg zum Grab seiner Tochter in Mönchengladbach. „Ich muss ihr doch erzählen, was sich nach ihrem Tod alles ereignet hat.“ Schierwagens Tochter wurde gerade einmal 13 Jahre alt. Emily, die an Diabetes Typ 1 erkrankt war, starb im Juni 2019 auf einer Klassenfahrt nach London, auf die sich die Schülerin so gefreut hatte. Der 13-Jährigen soll schon am Tag der Ankunft in London am 27. Juni nach einem Mittagessen schlecht gewesen sein. Mitschülerinnen berichteten später im Gerichtsprozess, dass sie mehrfach die aufsichtführenden Lehrer auf den schlechten Zustand Emilys aufmerksam gemacht hätten. Doch offenbar war zu spät reagiert worden. Das Mädchen starb am 30. Juni in einem Londoner Krankenhaus.
Emilys Freundinnen, die auf der Klassenfahrt dem zuckerkranken Mädchen beistanden, seien heute noch traumatisiert, sagt Kay Schierwagen. Er habe weiterhin Kontakt zu Mitschülerinnen seiner Tochter, sogar zu einer, die eine Ausbildung im Ausland begonnen habe. „Am 8. August, Emilys Geburtstag, habe ich ihre beste Freundin weinend am Grab meiner Tochter angetroffen“, berichtet Schierwagen. Der Tod Emilys gehe den Mitschülerinnen auch heute noch zu Herzen. „Sie mussten sich ein paar Mal anhören, warum sie denn auf der Klassenfahrt nicht selbst einen Krankenwagen für Emily gerufen hätten“, berichtet der Vater, „aber ich mache ihnen keinen Vorwurf. Das waren Kinder, und sie haben getan, was sie mussten: Sie haben den Lehrern gesagt, wie schlecht der Zustand meiner Tochter war.“
Kay Schierwagen hatte lange darum gerungen, dass der Fall Emily vor Gericht landet. Die Staatsanwaltschaft hatte im März 2020 zwei Lehrerinnen wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Zuvor waren die Ermittlungen aber nur auf Drängen von Emilys Vater wieder aufgenommen worden, nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren im Frühjahr 2021 eingestellt hatte. Am 15. Februar 2024 waren die angeklagten Lehrerinnen vom Landgericht Mönchengladbach wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung zu hohen Geldstrafen verurteilt worden. Doch beide legten Revision ein. Das Urteil ist also noch nicht rechtskräftig. Wann über die Revision entschieden wird, steht noch nicht genau fest, wie ein Sprecher des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe auf Anfrage mitteilte.
Kay Schierwagen hatte schon nach Prozessende angekündigt, dass er weitere Schritte einleite, um Schmerzensgeld zu bekommen. Das Geld sei nicht für sich, sondern für die Emily-Diabetes-Stiftung, die er gründen wollte. Dies ist mittlerweile geschehen. Weil noch kein Schmerzensgeld floss, hat der Berufskraftfahrer nach eigenen Worten selbst Geld für das Stiftungskapital in die Hand genommen. Mittlerweile würden aber auch Spenden fließen, sagt Schierwagen. Nach einem „True-Story-Podcast“, in dem Emilys Fall aufgegriffen wurde, seien 15.000 Euro zusammengekommen.
Mit seiner Stiftung verfolgt Schierwagen ein Ziel: „Nie wieder soll ein Kind an Diabetes sterben müssen.“ 125.000 Euro Schmerzensgeld fordert Emilys Vater. Damit sollen für Kinder aus armen Familien zum Beispiel Sensoren und Pumpen, die die Insulinzufuhr automatisch regeln, gekauft werden Unterstützung für sein Vorhaben hat der 49-Jährige schon von Emilys behandelnder Ärztin am Elisabeth-Krankenhaus und von einer Brüggener Einrichtung „Betreutes Wohnen“ für an Diabetes erkrankte Kinder erhalten. Allen sei Präventionsarbeit sehr wichtig. Auch das soll ein Ziel der Stiftung sein. „Ich bin so glücklich, dass ich viele ehrenamtliche Helfer habe, die mich unterstützen“, sagt Schierwagen. „Das rührt mich richtig.“
Dass seine Stiftung helfen kann, habe er auch schon im Kleinen erfahren. „Eine Mutter, deren Kind plötzlich viel an Gewicht abnahm, wurde auf Emilys Fall aufmerksam und ließ ihren Sohn testen. Er hat tatsächlich Diabetes. Und es ist gut, dass es früh erkannt wurde“, sagt der Stiftungsgründer.
Schierwagen ist zuversichtlich, dass er noch mehr Kindern helfen kann. Am 8. Dezember geben ein Liedermacher und eine Sängerin ein Konzert zugunsten der Emily-Diabetes-Stiftung in Köln (16 Uhr, Kettengasse 4). „Das habe ich meiner Tochter auch am Grab erzählt, dass nun für sie gesungen wird“, sagt er.
Kay Schierwagen wartet derweil Tag für Tag auf eine Entscheidung aus Karlsruhe. Die beiden angeklagten Lehrerinnen hätten sich nie bei ihm gemeldet, sagt er. Dafür ließ NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) ihm ihr Mitgefühl ausrichten. „Sein Kind zu verlieren, ist der schmerzlichste Verlust, der ein Elternteil nur treffen kann“, heißt es in einem Schreiben aus dem Schulministerium an Schierwagens Anwalt.
Weil es noch kein rechtskräftiges Urteil gibt, unterrichten die beiden angeklagten Lehrerinnen weiterhin an einer Mönchengladbacher Schule. Das gegen sie eingeleitete Disziplinarverfahren sei nach wie vor ausgesetzt, wie eine Sprecherin der Bezirksregierung mitteilte. Erst wenn es ein endgültiges Urteil gibt, werde es fortgeführt. Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis? All diese Strafen wären möglich. Aber noch ist nichts entschieden.